|
Vor der Spaltung Deutschlands – die Spaltung der Hauptstadt
Am 2. Mai 1945 kapitulierten die letzten Reserven Hitlers in der Hauptstadt Berlin vor der siegreichen Roten Armee. Aber noch während die Kämpfe in den trümmerübersäten Straßen des Zentrums tobten, hatten sich bewährte Antifaschisten aus allen Volksschichten ans Werk gemacht, mit Hilfe der Sowjetarmee Hunderttausenden das Leben zu retten, die Zukunft der Millionenstadt zu sichern. Mitte Mai konstituierte sich unter Vorsitz des parteilosen Ingenieurs Dr. Werner der erste Gesamtberliner Magistrat, dem bewährte Antifaschisten der verschiedensten politischen Richtungen angehörten.
Das Leben in Berlin hatte bereits begonnen, in normale Bahnen zurückzukehren, als entsprechend den Vereinbarungen der vier Großmächte Anfang Juli 1945 amerikanische, englische und französische Truppen in Westberlin einrückten (siehe Kapitel 1). Bald wurde die westliche Konzeption der Restauration der alten Herrschaftsverhältnisse auch in Berlin immer sichtbarer.
Zunächst entfernten die westlichen Militärbehörden viele aufrechte Demokraten aus den Verwaltungen der Westberliner Bezirke und setzten im Widerspruch zum Potsdamer Abkommen an ihre Stelle wieder Beamte der Nazizeit. Im März/April 1946 gelang es gewissen SPD-Führern im Verein mit den westlichen Besatzungsmächten unter Einsatz aller Mittel, viele Westberliner Sozialdemokraten von der Teilnahme an der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands - wie sie in der sowjetischen Besatzungszone erfolgte - abzuhalten und damit die politische Spaltung der Arbeiterschaft in Westberlin weitgehend zu konservieren.
Der nächste schwere Schlag gegen die Entwicklung Berlins im Sinne des Potsdamer Abkommens wurde um den Jahreswechsel 1946/47 geführt. Am 20. Oktober 1946 fanden in Berlin wie in der übrigen sowjetischen Besatzungszone Wahlen statt. In Berlin erhielten die Arbeiterparteien SPD und SED eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Aber die Führung der SPD ignorierte weitgehend diesen klaren Wählerauftrag. Sie verband sich vielmehr mit den reaktionären Teilen der bürgerlichen Parteien. Das Ergebnis dieser Politik ließ nicht lange auf sich warten.
Beschlüsse der Berliner Stadtverordnetenversammlung vom Frühjahr 1947 über die Überführung von Konzernen in Gemeineigentum und über die Enteignung von Vermögenswerten der Naziaktivisten und Kriegsverbrecher wurden in Westberlin nicht durchgeführt. Ende 1947 begann in den Berliner Westsektoren der Aufbau einer separaten Stadt- und Polizeiverwaltung. Im Frühjahr 1948 wurde die Einheitsgewerkschaft durch die Bildung einer separaten Gewerkschaftsorganisation gespalten. So führte die Entwicklung immer weiter von den Grundsätzen von Potsdam fort.
Den schwersten Anschlag auf die Einheit der Hauptstadt unternahmen die Spalter am 23. Juni 1948. Fünf Tage zuvor hatte der Leiter der Britischen Militärverwaltung in Deutschland, General Robertson, in einem Schreiben an den Chef der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland, Marschall Sokolowski, über die separate Währungsreform noch versichert: „Der britische Sektor Berlins wird von dieser Entscheidung unberührt bleiben." Unter grobem Bruch dieser und ähnlicher anderer offizieller Erklärungen wurde jedoch am 23. Juni die westdeutsche Separatwährung auch in Westberlin eingeführt. In e i n e r Stadt z w e i verschiedene Währungen: Das mußte das einheitliche Wirtschaftssystem der Stadt zerstören und damit auch der politischen Spaltung Tür und Tor öffnen. Gerade darum ging es den Initiatoren - sie wollten Westberlin von seinem Hinterland abspalten und einen ständigen Unruheherd inmitten der sowjetischen Besatzungszone haben, um sie von innen her aufzurollen und so schließlich den Weg nach Osten zu bahnen.
Diese Konzeption diktierte die nächsten Schritte:
Noch am 30. August 1948 verpflichteten sich die drei Westmächte, ihre Spaltermark wieder aus Berlin zurückzuziehen. Diese Verpflichtung blieb wie so viele andere auf dem Papier. Inzwischen waren die Vorbereitungen für die Bildung einer Separatverwaltung in den Berliner Westsektoren abgeschlossen. Am 6. September 1948 verließen die Spalter die einheitliche Berliner Stadtverordnetenversammlung und konstituierten sich - ohne Mandat der Bevölkerung - in den Westsektoren. Am 5. Dezember 1948 folgten in Westberlin Separatwahlen für die Westberliner Stadtverordnetenversammlung. Mitte Mai 1949 führten die Westmächte für Westberlin ein besonderes sogenanntes Kleines Besatzungsstatut ein. Damit war Berlin ökonomisch und politisch endgültig gespalten. Die Generalprobe für die Spaltung Deutschlands war geglückt.
Nun wurde Westberlin systematisch zur Frontstadt - wie es im Jargon gewisser Westberliner Zeitungen hieß - ausgebaut. So schrieb der Westberliner „Tagesspiegel" am 3. Februar 1952: „Die echte Sonderstellung (West-) Berlins ist eben die der Frontstadt im kalten Krieg, und was wir sonst daraus machen, hängt davon ab, wie wir uns als Kämpfer in diesem kalten Krieg benehmen." Im Sinne dieser Politik wurde der westliche Teil der Hauptstadt zu einem Dorado der verschiedensten Geheimdienste und terroristischen Organisationen. Sie alle hatten sich die Aufgabe gestellt, nach der Spaltung der Hauptstadt die Entwicklung im Osten Deutschlands so wirksam wie möglich zu stören. Dabei wurde vor keinem Verbrechen haltgemacht: Morde, Brandstiftungen, Sprengungen, Überfälle auf Eisenbahneinrichtungen und andere Sabotageakte der verschiedensten Art waren an der Tagesordnung.
Am 8. Juni 1959 schrieb die „New York Times" zur Rolle Westberlins: „. . . Niemand versucht ernsthaft die Tatsache zu bestreiten, daß der Westen von Westberlin aus eine ausgedehnte und einträgliche antikommunistische Propaganda- und Spionagetätigkeit betreibt. Der Spionagechef, der einen solchen Stützpunkt, 100 Meilen innerhalb des kommunistischen Gebietes, nicht nutzte, verdient sein Amt nicht." Währungsspekulationen und der Mißbrauch des freien Personen- und Warenverkehrs zwischen Westberlin und dem demokratischen Berlin fügten der DDR unermeßlichen Schaden zu. Ausländische Wissenschaftler bezifferten die Summe dieser Verluste mit etwa 100 Milliarden Mark. Gegenüber der DDR wurden buchstäblich alle Paragraphen des Strafgesetzbuches außer Kraft gesetzt.
Westberlin hat sich mit der Abspaltung von seiner natürlichen Umgebung und mit seinem Ausbau zur Frontstadt im Laufe von 20 Jahren zu einer selbständigen politischen Einheit inmitten der DDR entwickelt. Jedem Recht und Gesetz widersprechen die Versuche, Westberlin zu einem Bestandteil des westdeutschen Separatstaates zu machen. Selbst die drei Westmächte mußten wiederholt erklären, daß Westberlin kein Bestandteil des westdeutschen Staates ist. Dennoch duldeten - und dulden bis heute - ihre Vertreter in Westberlin widerrechtliche Amtstätigkeiten westdeutscher Behörden. Nach und nach wurden insgesamt 91 solcher Behörden mit 20 000 Angestellten aus Westdeutschland dorthin verlegt.
Um der von Westberlin ausgehenden permanenten Störtätigkeit in Ende zu setzen, nahm die DDR mit ihren Schutzmaßnahmen vom 13. August 1961 die bis dahin offene Grenze nach Westberlin unter eine feste Kontrolle. Aber bis zum heutigen Tage werden von Westberlin aus die verschiedensten Provokationsversuche unternommen. Jede dieser Provokationen unterstreicht jedoch nur die Notwendigkeit, den Spannungsherd Westberlin endgültig zu entschärfen.
Die DDR hat dazu viele, von großer Kompromißbereitschaft getragene Lösungsvorschläge unterbreitet. Diese Vorschläge bleiben auf dem Tisch.
Quelle:
"So wurde Deutschland gespalten!
Dokumentation
Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten
der Deutschen Demokratischen Republik
Verlag Zeit im Bild Dresden
Berlin 1966
|
|
|