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 Erinnerungen an die Berliner Mauer
Erinnerungen aus Sicht eines DDR Grenzsoldaten im Pflichtwehrdienst.
Jeder Tote der Innerdeutschen Grenze war einer zuviel!

 
 
Der Grenzdienst war nicht freiwillig, er gehörte wie alle anderen Ersatzorgane zum Pflichtwehrdienst (1). Einige mußten auch zur Bereitschaftspolizei.Grenzer waren genauso wie Soldaten der NVA für 18 Monate einberufen und Wehrdienstverpflichtet, wenn man nur von dem allgemeinen Wehrpflichtigen ausgeht.

Grenze konnte man verweigern ohne größeren persönlichen Schaden zu haben, warum taten es viele nicht?
Man wäre in eine Motschützeneinheit gekommen, welche viele Nachteile hatte im Leben eines Soldaten. Grenzsoldaten hatten in der Regel alle 4-6 wochen verlängerten Kurzurlaub, durften 1-2 mal in der Woche in Ausgang, bekamen 50,-Ostmark mehr Sold und hatten eine Verpflegung wie Spezialeinheiten(in der Regel Wahl zwischen 2 Essen, Postenverpflegung zum selber zusammenstellen, am Wochenende Zusatzration, 5-8 Küchenkräfte waren für eine Kompanie zuständig).Weiter brauchten Grenzer bis Mai 1982 (neues Wehrgesetz) nie mehr zur Reserve, welche in der Regel 3 Monate dauerte und wurden als Stabsgefreite entlassen.

Negative Seiten waren, nach 6 Wochen Grundausbildung begann noch eine 5 monatige Spezialausbildung, die viele Bereiche umfasste. Es war aus meiner Sicht Drill, Schikane und menschenunwürdig. Viele sah ich in der Zeit verletzt oder zusammengebrochen (mich inklusive). Aber es sollte hart machen für das letzte Jahr an der Grenze. Grenzer sollten in der Lage sein, konditionell ohne Schußwaffengebrauch Durchbrüche zu verhindern und wenn dieses nicht möglich war, in Sekunden zu reagieren.Zum anderen war klar, daß in einem eventuellen Ernstfall 80-90 Prozent drauf gehen nach 30 Minuten Widerstand bis der Russe kommt.

Die Anwendung der Schußwaffe kann ich nicht mit einem Schießbefehl definieren. Bei jeder Vergatterung vor dem Grenzdienst wurde auf das Schußwaffengebrauchsgesetz hingewiesen. Es war bei Strafe verboten, auf Kinder, schwangere Frauen, Luftziele und in Richting BRD zu schießen. Ausnahme war nur, daß man selber beschoßen wird. Dazu hatte man Anweisung zum Warnruf: "Halt! Grenzposten! Parole!" und dann Warnschuß in die Luft, danach gezieltes Feuer auf die Beine.

Unrealistisch es so durchzusetzen aus meiner Sicht, da nachfolgende Beschreibung der Grenze nur maximal 10 Sekunden zum Handeln läßt. Oder die Grenzer sind selber Tod wie es Werner Weinhold 1975 bewiesen hat.

Am Anfang gibt es einige Kilometer Spergebiet, nur mit Passierschein zu betreten, aber leicht zu umgehen. Dann folgte ein 2 Meter geharkter Kontrollstreifen aus Sand (K2 genannt) vor dem Signalzaun 2 Meter hoch mit Signaldrähten unter Schwachstrom. Nun gab es je nach Gegend 500-1000 Meter Grenzland mit Wald,Feld und Wiese. Nun kam der Kolonnenweg für Fahrzeuge und Wachtürme im Abstand von ca.1 km, dazwischen die Grenzposten. Anschließend war der Kfz-Sperrgraben gefolgt vom K6 (wieder Kontrollstreifen 6 Meter geharkt) und der 3 Meter hoher Maschendrahtzaun. Selbstschußanlagen wurden Mitte der 80er Jahre vollständig entfernt und Mininfelder, die sich teilweise im K6 befanden, auch. Innerhalb dieses Abschnittes gab es noch Hunde an einer Laufleine und durch Stolperdraht auslösende Warnschußanlagen.

Flüchtlinge hatten extreme Aufgaben zu bewältigen und Grenzer verließen sich oft auf die Schutzanlagen, sie wußten aber auch, daß ein Flüchtling nicht über das freie Feld kommt und sagt, ob er eine Waffe hat. Nach dem Betreten des K2 und Überwinden des Signalzaunes hatte ein Flüchtling aus der DDR von der Regierung nur noch die härteste Strafe zu erwarten. Also mußten Grenzer mit allem rechnen.

Nehmen wir als Beispiel den Fall Weinhold (2), ein Fahnenflüchtiger aus einer Panzerkompanie mit Maschinenpistole und 300 Schuß Munition. Nach Auslösung des Signalzaunes wurden Grenzkompanien in den Abschnitt geschickt. Position war immer am Kfz-Sperrgraben am Waldesrand zur eigenen Tarnung. Es war Nacht und über 20 Grad Minus. Als die Grenzer Seidel und Lange Geräusche wahrgenommen haben müssen, reagierten sie sicher ein paar Sekunden zu spät. Ihre Waffen waren nicht durchgeladen, aber in Vorbereitung griffbereit, der Wald gab Weinhold soviel Deckung, daß das Anrufen noch möglich war, aber Warnschuß nicht mehr. Bei über 20 Grad Minus und dunkler Nacht ist gezieltes Feuer auf Beine einer sich bewegenden Person unmöglich, weil man zittert und die beschossene Person sich duckt, somit wird der Körper getroffen. Wem soll man hier die Schuld geben? Weinhold! Er ging mit der Absicht zu schießen, ob er töten wollte, weiß ich nicht. Aber Grenzer waren nur mit der Absicht an der Grenze, heil nach Hause zu kommen und nie einen Flüchtenden zu treffen.

Das sollte keine Entschuldigung für alle Grenzer der DDR sein, es gab auch hier, wie überall, sicher einige schwarze Schafe, die ich ebenso verurteile. Es soll vielmehr einen Einblick aus der anderen Sicht geben, um sich von beiden Seiten die Situation vorzustellen, vielleicht sogar zu versuchen, sich in beide Situationen zu versetzen. Darum auch die Erklärung vom Grenzaufbau in Thüringen.

Ein ehemaliger Grenzer.Gefreiter
Mai 81-Oktober 82, 9. Grenzregiment

Anmerkungen von Berliner Mauer Online:

(1) Der Grundwehrdienst betrug in der DDR 18 Monate. Soldaten im Grundwehrdienst der NVA erhielten 18 Tage Erholungsurlaub für die Zeit des Grundwehrdienstes (Quelle: Dienstvorschrift DV 010/0/007).

(2) Werner Weinhold erschoss bei seiner Flucht in den Westen am 19.12.1975 zwei Grenzsoldaten der DDR an der innerdeutschen Grenze in Thürigen. Dem Auslieferungsersuchen der DDR-Staatsanwaltschaft wurde seitens der Bundesrepublik nicht entsprochen. Im ersten Prozess wurde Weinhold in der Bundesrepublik freigesprochen und erst Ende 1978 zu 5 1/2 Jahren Haft wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt. Bereits nach dreieinhalb Jahren wurde Weinhold vorzeitig aus der Haft entlassen. Nach dem Fall der Mauer und Einblick in DDR-Unterlagen wurde der Prozess gegen Weinhold im Gegensatz zu den Prozessen gegen DDR-Grenzsoldaten nicht neu aufgerollt.

 

  
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